Im April 2023 stellte die EU-Kommission ihren Entwurf einer EU-Verordnung vor, die die bisherigen Möglichkeiten der gerichtlichen Durchsetzung von SEP begrenzt und mehr Transparenz schaffen soll. Das EU-Parlament stimmte diesem Entwurf nun zu.

Im April 2023 stellte die EU-Kommission ihren Entwurf einer EU-Verordnung vor, die die bisherigen Möglichkeiten der gerichtlichen Durchsetzung von SEP begrenzt und mehr Transparenz schaffen soll. Das EU-Parlament stimmte diesem Entwurf nun zu. (Bildquelle: Grecaud Paul/stock.adobe.com)

Mit der Digitalisierung des Stromnetzes halten Computerchips an vielen Stellen Einzug: So wie aus Stromzählern Smart Meters werden, sind letztlich sämtliche Steuereinrichtungen, Gateways, Smart Home Interfaces, etc. Teil dieser Entwicklung. Dafür kommen im Stromnetz eine Vielzahl von kabelgebundenen und kabellosen Kommunikationstechnologien zum Einsatz (beispielsweise solche der Standards LTE, WLAN oder M-Bus), die teilweise aus dem klassischen Mobilfunkbereich stammen und nun auf verschiedene Industriebereiche ausgerollt werden.

Die Verwendung von Standards aus der Kommunikationstechnologie befreit allerdings nicht vom Risiko, dass diese Technik Patente Dritter verletzt. Im Gegenteil: Die Patentinhaber reichen gezielt während und auch nach Abschluss der Standardisierung ihre Patentanmeldung ein, mit dem Ziel, möglichst viel patentierte Technologie als Teil eines Standards aufzunehmen und damit die Nutzung des Standards zwingend davon abhängig zu machen, dass die patentierte technische Lösung genutzt wird; das Patent wird damit „standardessentiell“ (auch „SEP“ für „Standard Essential Patent“ genannt). Dies bedeutet: Der Standard kann nicht angewendet werden, ohne das Patent zu nutzen.

Der Patentinhaber hofft, auf diese Weise bei der Nutzung des Standards durch die sogenannte „Implementer“ nicht ein Verbotsrecht geltend machen zu können, sondern eine Lizenzgebühr für sein Patent bzw. in der Praxis eine Vielzahl von Patenten erhalten zu können. Zwar gewährt das Kartellrecht dem Implementer einen Anspruch auf eine Lizenz an SEP zu sogenannten FRAND-Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory), was aber praktisch zwischen Inhaber und Implementer zu verhandeln ist. Das führt bei komplexen Standards, welche durch eine Vielzahl von SEP geschützt sind, zu einem großen Tauziehen zwischen Patentinhabern und Implementern/Nutzern der Technologie.

Tauziehen zwischen SEP-Inhabern und der Energiewirtschaft

Während lange Zeit primär Hersteller von Mobilfunktechnologie sowie Automobilhersteller im Fokus von SEP-Inhabern standen, haben Letztere auf der Suche nach Verwertungsmöglichkeiten jüngst vor allem die Bereiche IoT und Smart Meters ins Visier genommen. Inzwischen haben große SEP-Verwerter wie Avanci, Sisvel und Nokia spezielle Programme aufgelegt, um Lizenzeinnahmen im Bereich Smart Meters (und IoT) zu erzielen.

Diese Lizenzverlangen richten sich grundsätzlich an alle gewerblichen Nutzer, vor allem an Hersteller von Smart Meter, Gateways, etc. sowie an Betreiber solcher Geräte wie Netzbetreiber und Stromversorger. Das Vorgehen der SEP-Verwerter ist regelmäßig taktisch aufgebaut: Nach Lizenzgesuchen und Abmahnungen wird mittels Gerichtsverfahren der Druck auf parallellaufende Lizenzverhandlungen erhöht. Die Patentinhaber nutzen das – als grundsätzlich eher patentinhaberfreundlich geltende – deutsche Rechtssystem, um durch Klagen und Abmahnungen ihre Lizenzforderungen durchzusetzen. Das neue einheitliche Patentgerichtssystem (Unified Patent Court, UPC), dessen Urteile (mit Unterlassungstiteln) in allen Teilnehmerstaaten (derzeit 17 Länder) vollstreckt werden können, verschärft die Lage für Implementer.

Das Smart Grid – vor allem Betreiber und Hersteller von Smart Meter etc. – sieht sich somit einem unerwünschten Antrag auf eine enge Beziehung mit den Patentinhabern als Lizenzgebern gegenüber, deren weitere Behandlung wohl überlegt sein muss. Ein schnelles Einlenken bei Lizenzgebühren kann mittelfristig erhebliche finanzielle Belastungen bedeuten. Umgekehrt ist nicht gesichert, dass ein Lieferant im Fernen Osten oder anderswo diese Kosten übernimmt. Hingegen kann ein Wegducken zu einer Unterlassungsverfügung führen, die ganz erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen hat, besonders im Fall eines Europäischen Einheitlichen Patents mit Wirkung in derzeit 17 Mitgliedsstaaten.

Gesetzesentwurf der EU

Dies hat Rufe nach einem Einschreiten der Europäischen Kommission geweckt, deren erste Entwürfe für ein stärker regulatorisch geordnetes Verfahren für die Befriedigung der Bedürfnisse sowohl von Patentinhabern einerseits und Implementern andererseits votieren.

Im April 2023 stellte die Kommission ihren Entwurf einer EU-Verordnung vor, die die bisherigen Möglichkeiten der gerichtlichen Durchsetzung von SEP durch eine Reihe von Maßnahmen begrenzt und zugleich mehr Transparenz schaffen soll. Im Kern des Entwurfs steht einerseits die Schaffung eines behördlichen SEP-Registers und andererseits die Einrichtung eines Prozesses zur Bestimmung von FRAND-Lizenzsätzen als Voraussetzung für Patentverletzungsklagen.

Dieser Entwurf stieß auf breite und vielfältige Kritik. Wenig überraschend üben die großen SEP-Patentinhaber und Patentverwerter besonders scharfe Kritik, während einige Implementer/Lizenznehmer die EU-Pläne eher begrüßen.

Das Europäischen Parlaments stimmte nun am 28. Februar 2024 mit großer Mehrheit für den Gesetzentwurf. Damit wird – trotz aller Kritik – die Gesetzesverabschiedung immer wahrscheinlicher.

Ausblick

Diese Entwicklungen in Brüssel geben jedoch keine Entwarnung für Implementer, vor allem auch nicht für die Energiewirtschaft. Zum einen ist aktuell nicht genau absehbar, wie der Europäische Rat mit dem Entwurf umgehen wird. Selbst wenn der Entwurf unverändert in Kraft tritt, dann verschieben die darin vorgesehenen Maßnahmen letztlich nicht die Grundpfeiler des skizzierten Interessenkonflikts. Die Patentinhaber werden weiter SEP monetarisieren, auch wenn die Spielregeln etwas verschärft werden.

Aus Sicht der Energiewirtschaft gilt daher unverändert, das Problem sowohl kommerziell als auch rechtlich einzuordnen und Strategien – gegebenenfalls gemeinsam innerhalb einer Wertschöpfungskette – zu entwickeln, um einen „Lock-in“-Effekt bei hohen Lizenzgebühren zu vermeiden und gleichzeitig „Freedom-to-Operate“ auch in Zukunft sicherzustellen. Im Lichte der großen Anzahl von SEP und entsprechenden Patentinhabern werden Nutzer dieser Technologien – vor allem Gerätehersteller und Gerätenutzer wie Netzbetreiber und Stromversorger – meist nicht umhinkommen, vertragliche Lösungen zu finden und dazu eigene Strategien zu entwickeln.

Die EU-Gesetzgebung wird also das – gerade erst beginnende – Tauziehen zwischen der Energiewirtschaft und den Inhabern standardessentieller Patente nicht beenden.

Nähere Details sind auch dem Artikel in der Ausgabe 1/2024 der ew zu entnehmen. Link zum E-Magazin der ew 1/2024

Autoren

Tobias Baus, LL.M., Dipl.-Ing., Rechtsanwalt, Taylor Wessing, München,
E-Mail: t.baus@taylorwessing.com

Dr. Thomas Pattloch, LL.M.Eur, Rechtsanwalt, Taylor Wessing, München,
E-Mail: t.pattloch@taylorwessing.com

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